Die Geschichte unserer Fanfreundschaften
“Gute Freunde kann niemand trennen, gute Freunde sind nie allein. Weil sie eines im Leben können: füreinander da zu sein!”
FC Bayern München-Fans waren die Vorreiter einer bundesweiten Bewegung!
Die gegnerischen Mannschaften und Fans werden auf den Rängen der Bundesliga-Stadien zumeist ausgepfiffen und beleidigt. Inmitten der Feindseligkeiten pflegt jedoch inzwischen fast jede deutsche Fanszene freundschaftliche Beziehungen zu Anhängern anderer Vereine, die sogenannten Fanfreundschaften. Tendenz: steigend.
Wir Bayern-Fans können stolz darauf sein, schon 1972 die beiden wohl ältesten Fanfreundschaften Deutschlands mitbegründet zu haben! Somit waren wir Vorreiter für unzählige weitere Freundschaften in den Ligen. Damals verfuhren wir nach dem Motto: Pfeifen & Stänkern kann jeder, aber Freundschaften sind etwas wertvolles und bringen auf Dauer viel mehr Spaß. Und manchmal entstand daraus sogar Liebe. Verlobungen, Umzüge und Hochzeiten folgten. Sogar Fan-Liebe über den Tod hinaus, wenn Fans zur Beerdigung anderer Fans in deren Stadt reisen. All das erlebten wir Bayernfans schon in den 70er Jahren, als es hieß: In der Bundesliga-Fanszene regieren die 3 großen “B”, Bayern, Bochum, Berlin!
Und “Freundschaft zu leben” bedeutete nicht nur auf die Spiele der jeweiligen Vereine untereinander zu gehen. Ich erinnere mich beispielsweise 1977 mit den Bochumern nach Dortmund gefahren zu sein, Dort gewann der VfL -damals mit Spieler Hermann Gerland- völlig unerwartet mit 2:0. Die Borussenfans tobten und stürmten nach Abpfiff vor den Gästeblock, Als sie mich mit dem großen FC Bayern-Logo auf der Kutte erkannten, wollten sie sich auf mich stürzen. Doch die Bochumer bildeten sofort einen Kreis um mich herum und schützten mich so vor dem tobsüchtigen Mob. Im gleichen Jahr “trampte” ich mit Freunden per Anhalter auf abenteuerlichen Umwegen von München nach Hannover zum Pokalfinale von Hertha gegen die Geißböcke vom 1. FC Köln. Dort gab es von den Herthanern ein großes Hallo und jede Menge Freibier ob unserer Anreisestrapazen. Wieder mal galt das Motto: Gute Freunde kann niemand trennen!
Und so kam es zu den folgenden wunderbaren Fanfreundschaften:
VfL Bochum: „Bayern und der VfL“
Begründer: Südkurve 73 & Bochumer Jungen
Der erste Berührungspunkt zwischen dem VfL und dem FCB stammt aus dem Jahr 1973. Beim Spiel zwischen Bochum und München wurden einige Bayern-Fans nach dem Spiel auf der Castroper Straße von einem Mob Bochumer angegriffen. “Bochumer Jungen”-Gründungsmitglied Ralf Wolf alias Lobo berichtet: “Mit unserem Aufstieg in die Bundeslig begann unsere Freundschaft. Wir sahen den Angriff auf die Bayern, gingen kurzerhand dazwischen und haben für Ruhe gesorgt!” Anschließend ging es gemeinsam zur Fanclub-Kneipe der “Bochumer Jungen”. Dort lief das berühmte Bochumer “Fiege”-Pils bald in Strömen. Es wurde bis in die Nacht zusammen gesungen und gefeiert. Lobo: “Später meldeten sich die bis dahin mit uns befreundeten HSV-Fans. Sie stellten uns vor die Wahl: Entweder Freundschaft zu Ihnen oder Bayern. Wir lassen uns nicht erpressen und so haben wir uns natürlich für die Bayern entschieden!” Es folgte reger Briefverkehr, Postkarten von Auswärtspielen des jeweils anderen.
Im Rückspiel durften die Bochumer mit einem Banner über die Tartanbahn des Münchner Olympiastadions gehen. Daraufhin entwickelte sich in den 80er Jahren eine Fanfreundschaft auf breiter Basis, viele VfL-Fanclubs begannen eine Freundschaft mit einem Bayern-Fanclub, etwa Bochum-Ost mit den Red Angels. In den 90ern ließ die Freundschaft wegen des VfL-Abstiegs nach, bis dann im Jahr 2005 die enge Freundschaft zwischen den Ultras Bochum und der Schickeria München entstand. So zeigte die Südkurve eine Choreo, mit der den Ultras Bochum zum 20. Geburtstag gratuliert wurde. Beide Fanszenen statten sich bis heute regelmäßig gegenseitige Besuche ab!
Hertha BSC: „Wir halten zusammen wie der Wind und das Meer, die blauweiße Hertha und der FCB“
Begründer: Südkurve 73 & Hertha Frösche
Unvergesslich, der 30. September 1972: Münchner Olympiastadion. Unser FCB gewinnt 4:0 gegen Hertha BSC durch Tore von Gerd Müller (2), Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer. Pünktlich mit dem Abpfiff stürmen wir voller Freude die Südkurve nach unten, klettern auf den Wellenbrecher im Graben und springen von dort auf die Laufbahn: Platzsturm! Und zwar von beiden Seiten: aus der Nordkurve strömen auch gut 100 Herthafans auf den Platz. Alle Richtung Mittellinie. Zu damaligen Zeiten ein Szenario für eine Massenprügelei. Doch was passiert: Wir Bayern-Fans fallen uns mit den Herthanern genau am Anstoßpunkt in die Arme, tanzen und singen unser Freundschaftslied “Wir halten zusammen, wie der Wind und das Meer, die blauweiße Hertha und der FCB”! Danach hüpften die “Hertha Frösche” -so genannt weil sie im Stadion zu ihren Gesängen meist auch hüpften-, noch in den Olympiasee. Sie dachten wohl das wäre ein Badesee, danach kletterten sie mit grünen Algen übersät wieder raus. Wir lachten herzlich, doch das das tat dem Spaß keinen Abbruch. Gemeinsam zogen wir dann auf die Wies´n, wo damals immer noch genug Plätze in den Zelten waren und hatten eine Riesen-Gaudi…
Das mittlerweile leider verstorbene Hertha-Original mit eigenem Fan-Souvenirstand, “Pepe” Mager, galt als “Oberfrosch” der “Hertha Frösche”, dem damals größten Fanzusammenschluß neben dem “HFC” und dem “Fanclub Berlin”. Er erinnerte sich im Jahre 2005: “Eine großartige Zeit. Schon 1969 gab es eine lockere Freundschaft weil Hertha und Bayern von den meisten Fans der Liga gehasst wurden. Nach 1972 entwickelten sich dann Freundschaften fürs Leben!” Kultig, die Szenen wenn Fans in großer Zahl zu wichtigen Spielen des jeweils anderen anreisten. Hertha zu Europacupspielen und wir zu den abenteuerlichen Auswärtsspielen der Hertha. Es gab viele Gänsehaut-Momente, etwa als wir 1976 mit einem Sonderzug in den Berliner Bahnhof Zoo einrollten: 300 Herthaner warteten mit dem Transparent “Wir grüßen unsere Freunde aus München!” Die Fahrten nach Berlin erfolgten mit Pkws, Bus, Zug und Ende der 70er sogar mit einem PanAm-Flugzeug: Zehn Minuten nach Start gab es schon keinen Akohol mehr an Bord. Einige fingen an zu singen “Wir wollen wippen, wippen…” und hüpften auf den Sitzen. Ich hatte eh schon Flugangst, wurde kreidebleich und dachte schon an einen Absturz. Dann schwankte das Flugzeug tatsächlich gefährlich, aber wegen einem Unwetter. Es ging nochmal gut und am Flughafen Tempelhof standen schon an die 100 Herthaner. Die Party nahm ihren Lauf. Oft endete sie erst in den frühen Morgenstunden in der Kult-Kneipe “Holst am Zoo”…
Aber auch wir holten regelmäßig die mit dem Nachtzug angereisten Berliner morgens um sieben am Hbf ab, frühstückten gemeinsam. Ich erinnere mich auch an einen Spielbesuch der Herthaner in München, zeitgleich mit dem Brauereitag. Da gab es es am Viktualienmarkt Freibier von allen Münchner Brauereien und die Berliner waren schnell in Stimmung. Sie stürmten ein Kaufhaus und fuhren wild hüpfend “Rolltreppe” bis in den obersten Stock und wieder runter mit lauten Schalmeien (Fanfaren), den damals üblichen Musik-Schellen, Gesängen und meterlangen Fahnen. Verblüffte Kunden, ältere Damen “Ja wos is denn dös?”- wir lachten uns schlapp über diesen “Aufzug”!
Natürlich durften die Herthaner (wie auch die Bochumer) nach Wahl bei uns in der Südkurve des Olympiastadions stehen. Leider schlief nach Herthas Abstieg in die 2. Liga die Freundschaft etwas ein, Freundschaftsschals in den Kurven und jährliche Treffen “Oider” Fans zeigen aber auch noch heutige Verbundenheit. Mega: auch die “Jungen” entdecken den Sinn dieser Freundschaft – die Ultras unserer “Alarmstufe Rot” haben mit der Berliner “Hauptstadt Mafia” eine weitere Freundschaft aus der Taufe gehoben. Weiter, immer weiter so!
ST. PAULI
Begründer: Ultra Sankt Pauli & Schickeria München
Schon in den 70ern gab es lose Verbindungen zwischen der Südkurve und St. Pauli. Vor allem bei unseren Spielen gegen den HSV kreuzten immer einige Paulifans auf um uns in der Kurve des Volksparkstadions stimmlich gegen den “gemeinsamen Feind” zu unterstützen. So kam auch die Einladung zu einem Fanclub-Fußballmatch am Nebenplatz des Millerntor-Stadions zustande. Nach einer lustigen Nachtzugfahrt stiegen wir in der Früh in Hamburg aus dem Zug und fuhren direkt ins Clublokal: leider waren die Getränke noch nicht gekühlt, sodass wir lauwarmes “Astra” konsumieren mußten. Das Spiel ging dann aufgrund unserer körperlichen Zustände haushoch für Pauli aus…
Richtig los mit der Freundschaft ging es dann am 12. Juli 2003: Bayern gastierte zum sogenannten “Retterspiel” am Millerntor. Nach dem Zweitliga-Abstieg stand St. Pauli vor der Insolvenz und musste zwei Millionen Euro aufbringen, um die Lizenz für die Regionalliga Nord zu erhalten. In München gab es gerade das berühmte “Sommertheater” wegen einer ausgeuferten Meisterfeier und dem folgenden Entzug etlicher Jahreskarten. Die Schickeria durfte im Millerntor-Stadion ein passendes Spruchband aufhängen und auch die Pauli-Fans bastelten ihrerseits ein Spruchband zum Thema. Der Beginn einer fabelhaften Ultra-Freundschafts-Welt!
Auch Ex-St.-Pauli-Boss Corny Littmann sprach vom “Beginn einer großen Freundschaft“. Die Ultras von St. Pauli, des Klubs der sich schon immer als anderer, alternativer Verein begreift, haben diese Freundschaft seitdem fortgeführt.
CZ Jena
Begründer: Schickeria München & Horda Azzuro
Auf dem Fankongress von BAFF (Bündnis Aktiver Fußball Fans) in Leipzig im Jahre 2006 traf eine Abordnung der Schickeria u.a. auf eine ebensolche aus Jena. Man war sich auf Anhieb sympathisch und tauschte sich aus. Es folgte eine Einladung der Jenenser zu deren Spiel in Haching. Die Schickeria revanchierte sich mit einer Einladung zum Spiel FC Bayern – Schalke 04 in der Arena. Seitdem werden intensive Kontakte und Austausch zwischen den Gruppen gepflegt. Es kam es zu vielen gegenseitigen Besuchen bei Spielen, Feiern und Veranstaltungen. Während die jeweiligen Delegationen bei den Spielbesuchen anfangs auch mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis beäugt wurden, ist es mittlerweile ganz normal, wenn Jenenser in der Südkurve in München stehen oder eben Münchner in der Südkurve in Jena. Zusammen wurden große Siege erlebt und auch Niederlagen eingesteckt, beides hat sie näher zusammen gebracht. Die Freundschaft stützt sich auch auf intensive persönliche Kontakte. Menschlich als auch in Bezug auf die Vorstellungen von Ultras-Mentalität liegen beide auf einer Wellenlänge. Auch in schweren Zeiten standen sie Seite an Seite, Solidarität war immer ein wichtiger Aspekt der Freundschaft. Als Folge ist am Zaun der Südkurve in Jena die Fahne der Schickeria oder vor der Südkurve in München die Fahne der Horda Azzuro zu finden.
Noch mehr Freunde: „Heißer Sand und die Erinnerung daran, wie`s in München einmal war…“
Weitere Freundschaften gab es kurzfristig -im kleinen Kreise, aber umso lustiger und trinkfreudiger- in den 70er und 80er Jahren zwischen der Südkurve 73 und dem Werder Fanclub Bremen-Ost, dem 1. FC Saarbrücken, dem 1. FSV Mainz 05, dem FC Augsburg und der SpVgg Fürth. Neueren Datums ist eine Freundschaft zwischen den Ultras vom Colegio mit Fortuna Düsseldorfs Ultras Dissidenti.
Was viele nicht wissen: Fans vom “harten Kern” der Südkurve fuhren mit ebensolchen Fans des Lokalrivalen TSV gemeinsam auswärts, etwa 1977 mit den Blauen zum Aufstiegsspiel nach Bielefeld. Am 5. August 78 riefen die Blauen an und baten um Hilfe beim Risikospiel im Pokal gegen Schalke 04. Man verlor 0:5 und nach dem Spiel gab es eine Straßenschlacht bis in den Ostfriedhof hinein. Danach gab es ab 1982 nochmals für einige Jahre die erste und einzige gemeinsame Fan-Vereinigung beider Vereine: die gefürchtete Service Crew.
International existieren Freundschaften der SK 73 zu den Glasgow Rangers. Seit einigen Jahren besteht auch eine Freundschaft zu Fans von Manchester United. Grund: Diese reisen alljährlich am 6. Februar in München an, zum Tag des Flugzeug-Absturzes 1958, bei dem über die halbe Mannschaft verstarb. In der “Fan-Arena” am Hbf wird dann gemeinsam getrauert und gesungen, dazu stellten die United-Fans extra eine große Dankesfahne für Bayernfans her. Internationale Ultra-Freundschaften gibt es auch zwischen der Schickeria und den Ultramarines Bordeaux. 2010 lernte man auf St. Pauli die Fans der “Devils” Bordeaux kennen, die dann beim Landesmeisterspiel in Bordeaux den Kontakt zu den Ultramarines herstellten. In Folge lud man diese zum Rückspiel nach München ein. Eine weitere herzliche Freundschaft existiert seit 2004 zu den italienischen Ultras Samb aus San Benedetto del Tronto.
Autor: Falk Diehl